RBJ 2019: eine wachsende Kluft zwischen der Anerkennung von Aufgaben von gesellschaftlichem Interesse und unzureichenden finanziellen Mitteln
234 Anfragen, davon die Hälfte Beschwerden und die andere Hälfte Informationsanfragen. 2019 war für den Rat für Berufsethos der Journalisten wieder ein sehr arbeitsreiches Jahr, das seinen Höhepunkt mit der Feier seines 10-jährigen Bestehens erreichte. Getrübt wird das Bild einzig durch einen wachsenden Rückstand, der von der Diskrepanz zwischen der immer stärker werdenden Bedeutung unserer Institution und der strukturellen Schwäche ihrer finanziellen Mittel zeugt. Dieser Schatten wurde jedoch durch ein kürzlich erhaltenes Schreiben des Medienministers über die Refinanzierung des Rates vertrieben.
Von Jahr zu Jahr bestätigen die Statistiken des RBJ das Offensichtliche: die Nachfrage nach ethisch hochwertigen Informationen ist groß, sowohl seitens der Öffentlichkeit als auch seitens der Journalisten. Davon zeugen zum einen die 117 im Jahr 2019 eingegangenen Beschwerden, von denen 70 % zulässig waren und 42 % zur Eröffnung einer Untersuchung führten und zum anderen die 117 Auskunftsersuchen, die von etwa der Hälfte (46 %) durch Journalisten (Journalisten, Journalistikstudenten, Redakteure) und von einem Drittel (30 %) durch die Öffentlichkeit gestellt wurden.
Zum ersten Mal in der Geschichte des RBJ hat die Zahl der Anfragen damit die Höhe der Beschwerden erreicht, ein Zeichen dafür, dass die Präventionsarbeit an Bedeutung gewinnt. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass sich die Redaktionen intern immer besser organisieren, um die Fragestellungen zu bearbeiten, die sich täglich aus der journalistischen Ethik für sie ergeben. Zweifellos spielte auch die komplette Überarbeitung der Website des RBJ – die jetzt eine deutsche Version für Journalisten und die Öffentlichkeit der Deutschsprachigen Gemeinschaft verfügt (https://www.lecdj.be/de/) – eine Rolle bei diesem neuen Rekord.
Online und soziale Netzwerken
Eine weitere Bestätigung für das Jahr 2019 ist die wachsende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Journalisten für ethische Fragen im Hinblick auf Veröffentlichungen online und in sozialen Netzwerken. Allein Web-Produktionen betreffende Beschwerden sind zahlreicher als in der Vergangenheit (32 %). Kombiniert mit Beschwerden über Inhalte, die sowohl über traditionelle als auch über Online-Medien bzw. über soziale Netzwerke verbreitet werden, steigt ihr Anteil auf 57 %. Die Beanstandungen an sich sind gleich: Missachtung der Wahrheit, Verletzung der Privatsphäre und Verletzung der Rechte des Einzelnen gehören zu den Top 3 der Beschwerden, unabhängig von den angestrebten Medieninhalten. Im Bewusstsein der Herausforderungen, die mit diesen Medien verbunden sind, begann der RBJ im Jahr 2019 zusammen mit mehreren europäischen Partnern (Presseräte, EJF, Universitäten) eine eingehende Reflexion darüber, wie die Presseräte im digitalen Zeitalter umdenken müssen. Dank des von der Europäischen Kommission kofinanzierten Pilotprojekts Media Councils in the Digital Age konnte der RBJ zahlreiche Akteure der europäischen Medienwelt anlässlich seines 10-jährigen Bestehens zu diesem Thema zusammenbringen. Diese Arbeiten wurden im Laufe des Jahres 2020 weitergeführt.
Rückstand und Refinanzierung
Zu den beunruhigenden Tatsachen des Jahres gehören die anhaltende Zunahme der Bearbeitungszeiten von Verfahren und der wachsende Rückstand. Von den 30 Stellungnahmen, die 2019 verabschiedet wurden, betrafen 26 Beschwerden aus 2018 und nur 4 Verfahren aus 2019! Die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines offenen Verfahrens bis zur Stellungnahme erhöhte sich 2019 von 266 auf 352 Tage. Für Schlichtungen hingegen betrug die durchschnittliche Bearbeitungszeit 85 Tage und für Beschwerden, die unzulässig und eindeutig unbegründet oder gegenstandslos waren, maximal 8 Tage (der in der Verfahrensordnung festgelegten Frist). Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, beschloss der Rat einerseits, seinen Entscheidungsprozess zu überdenken und in diesem Rahmen – ohne Abstriche bei Sorgfalt und Fairness – seine Verfahrensordnung zu überarbeiten und andererseits eine Refinanzierung zu gleichen Teilen von der Fédération Wallonie-Bruxelles (Französische Gemeinschaft Belgiens) und den Mitgliedsverlagen zu beantragen, um die derzeitige Belegschaft (von weniger als zwei Vollzeitmitarbeitern), die die Arbeit der 40 ehrenamtlichen, an den Aktivitäten des Rates teilnehmenden Mitglieder organisiert, zu ergänzen. Die Verlage stimmten diesem Antrag Anfang 2020 zu. Die Regierung gab diesem Antrag letztlich auch statt und der Medienminister teilte uns kürzlich mit, dass dem Rat zusätzliche Mittel für den Haushalt 2021 bereitgestellt werden. Die Verleger und die Regierung bekräftigen damit ebenso wie die Öffentlichkeit und der Berufsstand ihre Anerkennung der wichtigen Rolle des RBJ und die Bedeutung seiner Aufgaben in einem besonders schwierigen medialen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Kontext.